Eigene Forschungen

Dienstag, 23. Juli 2013

ONLY GOD FORGIVES


ONLY GOD FORGIVES
USA, Thailand, Frankreich, Schweden 2013

Regie:
Nicolas Winding Refn

Darsteller:
Ryan Gosling,
Kristin Scott Thomas,
Tom Burke,
Yayaying,
Vithaya Pansringarm,
Byron Gibson,
Gordon Brown,
Sahajak Boonthanakit



„Die Damen sollten jetzt die Augen schließen.“


Inhalt:

Der Amerikaner Billy [Tom Burke] schändet und ermordet in Bangkok eine minderjährige Prostituierte. Diese Tat setzt eine blutige Ereignisspirale in Gang: Der Polizist Chang [Vithaya Pansringarm] sperrt den Vater der Toten mit Billy in einen Raum, was letzterer nicht überlebt. Billys Mutter Crystal [Kristin Scott Thomas] reist daraufhin aus den Staaten an, um ihren jüngeren Sohn Julian [Ryan Gosling] zum Rachemord zu überreden. Julian jedoch, der lebenslang im Schatten seines brutalen Bruders stand, hat Bedenken. Daraufhin heuert Crystal einen Auftragskiller an. Dieser jedoch gerät bei Chang an seinen Meister und wird selbst Opfer unmenschlicher Grausamkeit. Schließlich treffen Chang und Julian aufeinander.

Kritik:

Hände! Immer wieder starrt Ryan Gosling auf seine Hände. Und das liegt nicht nur daran, dass er als Julian die Rolle eines Boxers verkörpert: Hände begehen Taten. Und Hände können Taten verhindern.

Nach dem hochgelobten DRIVE aus dem Jahre 2011 schickte der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn den kaum weniger gefeierten Mimen Ryan Gosling zum zweiten Male auf eine großartig gefilmte, gewaltreiche Tour de Force, die jedoch, abgesehen von der kunstvollen Inszenierung und dem abermals grandiosen Hauptdarsteller, erstaunlich wenig Gemeinsamkeiten mit dem Vorgänger bereithält: Die recht geradlinige Erzählweise DRIVEs weicht hier oft skurillen Momentaufnahmen, deren Sinn sich einem, sofern überhaupt, erst in größerem Zusammenhang erschließt. Tatsächlich gleichen die Ereignisse eher einem fiebrigen Albtraum, was durch die brodelnde Kulisse Thailands noch verstärkt wird. ONLY GOD FORGIVES ist wahrlich keine leichte Kost und zeichnet ein niederschmetterndes, gewaltgetränktes Schreckensszenario menschlicher Grausamkeiten, dessen Figuren wie schlaftrunken durch das bedrückende Geschehen taumeln. Nicolas Winding Refn zelebriert meditative Langsamkeit und setzt dazu ganz auf die suggestive Kraft seiner bis ins Detail durchdachten Bildkompositionen. Das ist für Ästheten ein Fest, Actionjunkies, durch Titel, Setting und Werbung womöglich in die Irre geführt, könnten sich hingegen rasch fehl am Platze fühlen.

Denn im Gegensatz zu DRIVE, dessen grundsätzliche Ruhe immer noch durch einige ungewöhnlich komponierte Geschwindigkeitszelebrationen unterbrochen wurde, herrscht hier insgesamt eine verblüffende Actionarmut. Refn macht es seinem Publikum dabei nicht gerade einfach, beginnt Szenen, bricht sie wieder ab, um sie an anderer Stelle weiterlaufen zu lassen, spielt mit Kameraeinstellungen und Raumgestaltung, mit rot-gelbem Licht und immer wiederkehrenden Symbolen. Wer von Ryan Gosling einen ähnlich coolen Auftritt wie als namenloser Stuntfahrer erwartet, dürfte ebenfalls eine mindestens mittlere Enttäuschung erleben: Verkörperte Gosling in DRIVE eine zwar einsame, doch nichtsdestoweniger seinen Mitmenschen klar überlegene Person, erlebt man ihn in ONLY GOD FORGIVES als vollkommen gebrochenen Charakter, als seelischen Krüppel, der, zeit seines Lebens um die Gunst seiner ebenso beherrschenden wie grausamen Mutter ringend, in eine sinnlose Leere läuft. Als er Chang gar zum Zweikampf herausfordert, bekommt er von diesem im Anschluss gnadenlos und alles andere als heldenhaft die Fresse poliert – das wär dem ‚Driver‘ nie passiert!

Obwohl mit seinem Namen beworben, ist Gosling nicht einmal die eindeutige Hauptfigur ONLY GOD FORGIVES', sondern vielmehr lediglich eine von vielen verirrten Charakteren, welche diese düstere Parallelwelt bevölkern. Die Funktion einer zentralen Person erfüllt noch am ehesten Vithaya Pansringarm in der Rolle des Selbstjustizpolizisten Chang, der als Richter und Henker zugleich über Leben und Tod der Verworfenen entscheidet. Haben die Unholde Glück, entfernt seine Schwertklinge lediglich einen ihrer Arme, haben sie es nicht, zerschneidet sie gleich den gesamten Torso. So absurd es klingt, ist Chang (dessen Name innerhalb der Handlung nie tatsächlich genannt wird) doch noch der positivste Charakter in diesem Höllenszenario, scheint er doch als einziger über eine Art von Gerechtigkeitssinn zu verfügen. Dass er dafür zum Racheengel (und somit ebenfalls zum Mörder) werden muss, ist bezeichnend für die Ausweglosigkeit, in welcher sich die Figuren befinden. Immer, nachdem er ein weiteres Urteil vollstreckt hat, sieht man Chang in einer Karaokebar singen. Es klingt nicht schön. Aber es ist gleichzeitig das Menschlichste, wozu man hier in der Lage sein könnte.

Zwar ist Thailand der Schauplatz, doch scheinen die Protagonisten tatsächlich in einer vollkommen fremden moralbefreiten Welt zu existieren, in welcher sich die Unfähigkeit zur Kommunikation auf dem Höhepunkt befindet. Gesprochen wird in ONLY GOD FORGIVES ohnehin kaum. Nicht etwa, weil es nichts zu sagen gäbe, sondern weil das Sprechen größtenteils verlernt zu sein scheint. Am meisten Text hat daher auch Kristin Scott Thomas in der Rolle der zugereisten Crystal, die jedoch hauptsächlich mit menschenverachtenden Beleidigungen um sich wirft. Crystal ist dann gleichzeitig auch eine der Schlüsselfiguren: Als treibende manipulative Kraft setzt sie die blutigen Ereignisse erst richtig in Gang. Perfekt versteht sie es dabei, ihrem verbleibenden Sohn Minderwertigkeitsgefühle einzuimpfen, indem sie ihm immer wieder zu verstehen gibt, dass sie seinen toten Bruder stets bevorzugte. Der inzestuöse Hintergrund dieser Beziehung ist dabei eindeutig und erfolgter Kindesmissbrauch mehr als wahrscheinlich: „Ich will sie so jung wie möglich“, sagt Billy, kurz bevor er zum Mädchenmörder wird. Als man Crystal mit seiner blutigen Tat konfrontiert, fällt ihre Antwort nach kurzer Pause sehr lapidar aus: „Ich bin mir sicher, er hatte seine Gründe.“ Während Billy seine Beziehungsunfähigkeit durch sexuelle Perversionen und Gewaltexzesse zu kompensieren versucht, geht Julian im Gegenzug den passiven Weg: Zwar hat er zumindest so etwas Ähnliches wie eine Freundin, doch schafft er es nicht, sie auch nur zu berühren, lässt sich lediglich von ihr fesseln, um ihr bei der Masturbation zuzusehen – ein treffendes Bild für Julians Ohnmachtsgefühl, das sich wie ein Leitfaden durch die Handlung zieht.

Dunkle Flure, Türen, hinter denen man das Grauen erwartet, unwirklich flackernde Lichter und heftige Gewalteruptionen – es ist kein Zufall, dass ONLY GOD FORGIVES über weite Strecken inszeniert ist wie ein Horrorfilm, werden doch die scheußlichsten Winkel der menschlichen Seele ausgelotet. Die Gewaltakte sind dabei in ihrer teilweise quälend expliziten Darstellung gewiss nicht unprovokant und auf ihre Schockwirkung bauend eingesetzt, doch verdeutlichen sie auch, in welch brutaler Umgebung man sich befindet, in welcher Grausamkeit gegen Menschen längst zum Alltag zu gehören scheint.

ONLY GOD FORGIVES erklärt nichts, verspricht nichts, hält nichts. Eine vorkauende Vorstellung der in unwirkliches Licht getauchten Charaktere findet nicht statt, Dialoge sind zu selten, um Rückschlüsse auf Motivationen zuzulassen, die Handlung ist teilweise zu diffus montiert, um sich ein übersichtliches Bild machen zu können. Vieles bedarf der Interpretation, der Auslegung, der Fantasie. Spannung in klassischen Sinne sucht man hier vergebens. Was bleibt, ist ein faszinierend bebildertes, mit treibendem Bass unterlegtes Kabinett der Gräueltaten, eine gekonnte Ästhetisierung unmenschlicher Brutalitäten und ein Musterbeispiel stilistischer Versiertheit, von dem man seine Augen und Ohren kaum abwenden kann. Am Ende wird Ryan Gosling nie wieder auf seine Hände starren. 

Laufzeit: 89 Min. / Freigabe: ab 16

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