Eigene Forschungen

Mittwoch, 22. Mai 2013

ANGEL IN THE NIGHT - EINE FRAU SIEHT ROT


EL PLACER DE LA VENGANZA
Mexiko 1988

Regie:
Hernando Name

Darsteller:
Susana Dosamantes,
Hugo Stiglitz,
Eleazar Garcia Jr.,
Andres Garcia Jr.,
Pedro Armendáriz Jr.,
Jorge Alejandro,
Raúl Araiza,
Carlos East Jr.



Panik! Amok! Horrorshow! Bereits der deutsche Titel lässt die Alarmglocken schellen und knallt einem schon vor dem Lesen jeder Inhaltsangabe vor den Latz, womit man es hier zu tun hat. Und natürlich ist EINE FRAU KENNT KEINE GNADE tatsächlich nichts anderes, als eine erneute (wenn auch reichlich späte) Variation des allseits bekannten Rachethemas, das 1974 von Charles Bronson etabliert und in den folgenden Jahren immer wieder gern neu aufgekocht wurde. Dem Publikum gefällt das in der Regel. Da Rache in der Realität verboten ist, müssen halt die Leinwandhelden ran, um das lichtscheue Gesindel vorschriftsmäßig unter die Erde zu bringen.

Hier nun also EIN MANN SIEHT ROT, die hundertste. Nur halt auf frauisch. Und mexikanisch. Und da schellen die besagten Glocken dann gleich das zweite Mal, ist Mexiko doch nun nicht gerade für seine cineastischen Meisterleistungen berühmt, sondern eher für seine billigen Kopien erfolgreicher Vorlagen. Tatsächlich bewahrheiten sich die schlimmsten Befürchtungen: Dass EINE FRAU KENNT KEINE GNADE Innovationen ebenso vermissen lässt wie handwerkliches Geschick, ist dabei schon fast eine Selbstverständlichkeit und für Freunde des gepflegten B-Films auch nicht wirklich ein Problem. Doch unabhängig davon dürfte kaum jemand ausreichend gewappnet sein für die volle Breitseite allerschlimmster 80er-Jahre-Verbrechen, die einem hier vollkommen schamlos um die arglosen Augen und Ohren geballert wird. So ergießt sich (selbstverständlich untermalt von unerträglich billigem Synthesizer-Georgel in Dauerschleife) eine wahre Wagenladung von Gesichtselfmetern, Modesünden und Frisurdelikten über den Zuschauer, welche noch um einiges brutaler ist als die von reichlich unecht aussehendem Kunstblut getränkte Meuchelarie der Titelfigur.

Inhalt:

Familie Ruiz (Papa, Mama und zwei Bälger) macht Urlaub und plantscht ausgelassen am Pool herum. „Nachher gehen wir alle schwimmen“, so spricht der Papi. „Aber du kannst doch gar nicht schwimmen“, erwidert der Sprössling. „Und warum nicht?“ will der so Diffamierte erstaunt wissen. „Weil du ein Gips an deinem Bein hast“, lautet die Antwort, und die ganze Bagage kommt fast um vor Lachen. Der Grund für diesen Heiterkeitsausbruch bleibt freilich im Dunklen, denn der Bub spricht die Wahrheit: Papa Ruiz trägt tatsächlich ein Gipsbein (das für die Story übrigens völlig ohne Belang ist – vermutlich ist der Darsteller am Vortag beim Lesen des Drehbuchs einfach vor Schreck aus dem Fenster gefallen, und man hatte keine Zeit mehr, einen geeigneten Ersatz zu suchen).

Aber auch der schönste Urlaub geht einmal vorbei. Auf der Heimreise jedoch kommen die Ruizens auf die folgenschwere Idee, einen kleinen Umweg durch den Wald zu machen, um Papis Bruder zu besuchen. Doch im Wald, das weiß eigentlich jedes Kind, da sind die Räuber: Eine Bande ausnehmend hässlicher Hackfressen lauert im Gesträuch, um einen Geldtransporter zu erleichtern (Geldtransporte durch den Wald? In Mexiko wohl Standard). „Das gefällt mir gar nicht“, bemerkt dessen Fahrer dann auch sehr richtig. „Man schickt uns immer auf so einsame Strecken. Das macht mir Angst.“ „Es gibt keinen Grund, Angst zu haben“, erwidert sein Kumpan wacker. „Ich freue mich schon auf ein kühles Bier, wenn wir ankommen“. Ungeachtet der befremdlichen Tatsache, dass der Beifahrer dazu eine Geste macht, als würde er Brot schneiden, weiß der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt schon längst: Der gute Mann irrt sich und das Bier fällt heute Abend aus.

Quasi im Handumdrehen ist der Transporter gekapert, den Wachmännern wird kaltblütig das Licht ausgepustet. Besonders Bandenchef Julius [Eleazar Garcia Jr.] (der mit einer überdimensionalen Rotzbremse aussieht, als hätte nach dem Überfall noch vor, den Saddam-Hussein-Ähnlichkeits-Wettbewerb zu gewinnen) ist ein brutaler Knecht, dem Menschenleben nichts bedeuten. Das müssen auch die Ruizens erfahren, die just in diesem unliebsamen Moment mit ihrer Familienkutsche um's Eck geschaukelt kommen. Zeugen sind eher schlecht für's Geschäft, findet Julius, und eröffnet kurzerhand das Feuer. Die ganze Familie Ruiz verendet im Kugelhagel. Wirklich die ganze? Moment! Mama Ruiz hat das Inferno überlebt und sich einfach nur totgestellt - nicht ohne sich das Gesicht eines der Gangster genau einzuprägen. 

Cristina [Susana Dosamantes], so der Name der Überlebenden, wird ins Krankenhaus gebracht, nachdem dem falluntersuchenden Polizisten nach einer halben Ewigkeit auffällt, dass sie doch noch nicht ins Gras gebissen hat. Dort erfährt man nun, dass sie ebenfalls Ärztin ist: „Frau Doktor Ruiz, Sie sind über'n Berg. Sie werden noch einige Zeit brauchen, aber Sie sind ja selbst Ärztin.“ - „Und mein Mann? Und meine Kinder?“ - „Das Leben muss weitergehen, vergessen Sie das nicht!“

Diesen sehr weisen Rat befolgend, verbringt Cristina das Jahr ihrer Genesung bei ihrer Schwester in den USA, um daraufhin wieder in der Heimat als Psychologin zu arbeiten. Ihr Trauma scheint sie verblüffend schnell verarbeitet zu haben. Aber das Leben (und vor allem ein Drehbuch) steckt voller Überraschungen: Eines Tages legt sich der 19jährige Omar [Andres Garcia Jr.] auf ihre Couch, um die Schatten seiner Vergangenheit abzuschütteln. Als Cristina ihn erkennt, stockt ihr der Atem: Er war Mitglied der Bande, die ihre Familie getötet hat. 

Als sie bemerkt, dass er sie nicht erkennt, benutzt sie sein Vertrauen, um ihn über seine Kumpanen und deren Verbleib auszufragen. Kaum hat Cristina die nötigen Informationen, fackelt sie auch nicht lang: Mit einem Schraubenzieher bewaffnet und unter einer ausnehmend scheußlichen Perücke versteckt, lockt sie den ersten Täter (ein ganz böser Junge inklusive „Garfield“-Shirt) in einen Kinosaal, um ihn dort fachgerecht um die Ecke zu bringen. 

Auftritt Kommissar Gallardo [Pedro Armendariz], ein echtes Musterbeispiel fachlich kompetenter Polizeiarbeit. Als er erfährt, dass der Täter eine blonde Perücke trug, ist für ihn der Fall schon so gut wie gelöst: „Dann werden wir eine Razzia bei den Prostituierten machen. Transvestiten, Homosexuelle... Wir kämmen die ganze Gegend durch.“ Eine brillante Taktik, die jedoch nicht aufgeht: Cristina mordet weiter, die gute alte erst Verführungs-, dann Abstechungsmasche verfehlt ihr Ziel nie. Trotz aller Rückschläge will Kommissar Gallardo nicht von seiner Theorie abweichen: „Trotzdem glaube ich, dass es einer aus der Homosexuellenszene war. Du siehst ja, wie leidenschaftlich die sind! Wir müssen uns alle diese Schwulentreffs vornehmen! Wie heißt dieser Laden nochmal? Dieser, dieser... Argos! Ich habe mich erkundigt, da läuft Einiges!“ 

Und während sich der Kommissar immer noch auf Homo-Jagd befindet, dämmert es den verbliebenen Bandenmitgliedern inzwischen, dass Frau Ruiz das damalige Massaker doch überlebt haben könnte. „Ich bin mir fast sicher, dass diese Hure noch lebt“, verkündet Julius. „Wie kriegen wir raus, wer und wo sie ist?“ lautet eine berechtigte Frage. „Genauso, wie wir es früher gemacht haben: Durch die Zeitung!“

Früher? Wann? Egal, der Plan ist gut, finden alle. Dass nun ausgerechnet Jammerlappen Omar ins Zeitungsarchiv abkommandiert wird, sorgt für einen der grandiosesten Momente des gesamten Films, als er sich gegenüber dem Reporter [Hugo Stiglitz] eine geradezu fantastische Begründung für sein Interesse einfallen lässt: „Ich interessiere mich für die wichtigsten Verbrechen des letzten Jahres.“ - „Wofür brauchen Sie das?“ - „Ich bin... äääh.. Ich bin Lehrer an einer Schule und ich muss ein Referat über Mordfälle und Verbrechen halten“.

In Mexiko führen also nicht nur Geldtransporte durch die Botanik, sondern in den dortigen Schulen werden die Referate anstatt von den Schülern auch von Lehrern gehalten. Man lernt nie aus! Durch diesen schlauen Trick findet Omar schließlich heraus, dass seine Seelenklempnerin mit dem nächtlichen Racheengel identisch ist. Eine sehr brauchbare Information zwar, doch nützt sie der Bande nicht viel: Jeder Versuch, Cristina auszuschalten, schlägt fehl. Diese ist nun vollständig zum Aushilfs-Rambo mutiert und macht richtig den Otto los.

Kritik:

Es hat keinen Zweck, es zu leugnen: Die Optik EINE FRAU KENNT KEINE GNADEs ist äußerst unattraktiv und die Umsetzung der Ereignisse überaus plump geraten. Doch der Einfall, einen der Täter sich unwissentlich in die Hand seines Opfers begeben zu lassen, ist so unoriginell gar nicht mal und hätte durchaus als brauchbarer Aufhänger eines interessanten Konflikts dienen können. Bedauerlicherweise jedoch wird die Idee eigentlich kaum genutzt und verläuft schon nach recht kurzer Zeit wieder im Sande. Stattdessen folgt eine gewohnt formelhafte Abhandlung der Geschehnisse, die jedoch – so viel muss man zugeben – über weite Strecken durchaus zu unterhalten weiß. Mal abgesehen von einem unnötigen Nebenplot, in welchem sich die Bande untereinander zerstreitet (was aber ein paar Minuten später kein Thema mehr ist), geriet die Erzählung angenehm geradlinig und sorgt trotz ihrer Banalität für ein gewisses Maß an Kurzweil. Cristinas Racheaktion hingegen wirkt nicht wirklich zufriedenstellend, zumal sie die Bösewichte einfach absticht, ohne ihnen vorher zu offenbaren, mit wem sie es eigentlich zu tun haben und warum sie jetzt eigentlich gerade getötet werden (was die ganze Rache eigentlich sinnlos macht).

Die Darsteller gehen gerade noch als brauchbar durch (was ebenso für ihre deutsche Synchronisation gilt): Susana Dosamantes in der Hauptrolle gibt sich Mühe, wirkt aber in keiner Sekunde wirklich wie eine Frau, die vor kurzem Mann und Kinder verloren hat. Auch ihr Hass gegenüber den Tätern bleibt bloße Behauptung, spüren tut der Zuschauer nichts davon. Davon abgesehen ist es auch für den Zuschauer nicht einfach, diese lächerlich überzeichnete Ansammlung schauderhafter Bratwurstfressen ernstzunehmen, die weniger wie Gangster wirken, sondern eher wie wandelnde Parodien auf solche. Zwar wird Anführer Julius als hassenswertes Dreckschwein angelegt, doch wenn er seinen monströsen Schenkelbesen nebst Vokuhila ins Bild schiebt, empfindet man als Zuseher eher Heiterkeit als Hass. Fast schon tragisch wirkt die Rolle Andres Garcia Jr.s, der als Jammerlappen Omar in seiner unbeholfenen Art tatsächlich Sympathien beim Publikum ernten kann: Wenn er, von den Gewalttaten seines Anführers traumatisiert, plärrend und bebend auf Cristinas Couch liegt oder sich grandiosen Unsinn zusammenstotternd allen Ernstes als Grundschullehrer ausgibt, um Akteneinsicht zu erlangen, dann möchte man den armen Burschen direkt in den Arm nehmen, und ihm zum Trost ein Eis spendieren.

Der Gewaltpegel EINE FRAU KENNT KEINE GNADEs ist zwar recht hoch, selbst die erschossenen Kinder werden ins unschöne Bild gerückt (was sich nur wenige Filmemacher wirklich trauen), doch vor allem das deutlich als solches zu identifizierende Kunstblut entlarvt das Gesehene sofort als Inszenierung, so dass auch die Nachtruhe etwas zarter Besaiteter nicht wirklich in Gefahr sein dürfte (Albträume aufgrund der gebotenen Visagen und Frisuren sind tatsächlich weitaus wahrscheinlicher). Insgesamt ist EL PLACER DE LA VENGANZA (=“Die Lust an der Rache“, so kennt man die Nummer in ihrer Heimat) zwar nicht ganz so schlimm, wie man hätte vermuten können und bietet im Prinzip ganz passable Unterhaltung. Doch die schäbige Optik, die banalen Dialoge, die plump inszenierte Action und nicht zuletzt die grässliche Musik machen EINE FRAU KENNT KEINE GNADE nicht selten zur Zerreißprobe und verlangen dem Zuschauer schon einiges ab. Unverbesserliche Trashjunkies, die wirklich jedes 80er-Jahre-Videofutter konsumieren müssen, seien daher gewarnt: Dieser Film kennt keine Gnade!

Laufzeit: 87 Min. / Freigabe: ungeprüft

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